Metaphern und narrative Verfahren im Kompetenzbereich „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen“

Ein Blick auf Materialien für den Kompetenzbereich „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen“ zeigt, dass es von Königen und Prinzessinnen nur so wimmelt. Unterrichtseinheiten tragen vielversprechende Titel wie „„Grammatik mit Superhelden und Piraten: Die vier Fälle“ (Martini 2016) oder „Der fußballbegeisterte kleine Drache“ aus der sogenannten „Fußballgrammatik“ (Alber 2017). Als Lehrkraft stellt sich angesichts der Fülle des Angebots die Frage, wie man den Überblick behalten kann und welchen unterrichtspraktischen Nutzen metaphorische und erzählerische Verfahren im Kompetenzbereich „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen“ eigentlich haben.

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Im Laufe des vergangenen Jahres habe ich mich mit verschiedenen Student*innen und Kolleg*innen mit den Angeboten auseinandergesetzt. Um den unterrichtspraktischen Nutzen einschätzen zu können, kann man sich als Lehrkraft die folgenden Fragen stellen:

  1. Kenne den Gegenstand aus fachlicher Perspektive: Wie wird er definiert? Welche Aspekte sind unstrittig, welche strittig? Dieses Wissen bildet die Grundvoraussetzung, um den Einsatz eines Konzeptes oder eines Materialpakets abwägen zu können.
  2. Wird der Gegenstand auch in der Fachliteratur metaphorisch dargestellt? Viele Gegenstände sind bereits in der Fachliteratur mithilfe von Metaphern strukturiert. Ein Beispiel dafür ist das Feldermodell des deutschen Satzes, das wesentliche Eigenschaften des Satzbaus im Deutschen illustriert.
  3. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden in der Didaktisierung erkennbar? Diese Frage lässt sich am Feldermodell beispielhaft zeigen: Das Feldermodell zeigt auf, dass das finite Verb im Deutschen an der zweiten Position steht, die anderen Wortgruppen recht frei verschiebbar sind. Wenn man ein Modell aussucht, sollte man darauf achten, dass genau diese Eigenschaften auch deutlich werden.
  4. Wird die wichtigste Eigenschaft des Gegenstandes durch das Verfahren betont oder verschleiert? Um die Frage zu klären, muss ich wissen, was meine Lernenden am Gegenstand erkennen/lernen sollen. Wenn ich ein Konzept wähle, dass beispielsweise auf Figuren aus Märchen zurückgreift, sollte ich mich fragen, inwieweit die Figuren zu einem Verständnis der Eigenschaften des Gegenstandes beitragen oder eher verkomplizieren. Das Verb als König zu illustrieren scheint sinnvoll, da es einige „Macht“ über andere Satzglieder ausübt und auch kein weiteres finites Verb neben sich dudelt. Das Konzept Kasus als Pirat darzustellen, scheint weniger nahliegend zu sein, denn Kasus und Piraten teilen keine offensichtlichen Eigenschaften.
  5. Welche Termini werden in der Fachliteratur benutzt? Nutzt man Erzählungen oder metaphorische Strategien, braucht man in der Regel noch mehr Bezeichnungen, die gelernt werden müssen. Lohnt der Mehraufwand an Benennungen?
  6. Sollen diese oder andere Termini in der Schule benutzt werden? Welche Termini werden in den an der Schule genutzten Lehrwerken eingesetzt? Gibt es Verabredungen in der Fachkonferenz?
  7. Trägt die Metaphorik/ die Narration auch über die Stunde/die Einheit hinaus? Wenn man lediglich eine Eigenschaft des Gegenstandes durch das Verfahren erkennen kann, trägt es vermutlich nicht sehr lange, bevor eine andere Erzählung eingeführt werden muss. Das bedeutet einen erheblichen Aufwand für Schüler*innen und Lehrer*innen.
  8. Sind Konfusionen wegen anderer eingesetzter Konzepte zu erwarten? Zu viele Prinzessinnen und König*innen können zu Verwirrungen bei den Lernenden führen. Weniger ist vermutlich mehr 🙂
  9. Wie reagiert die Lerngruppe auf narrative Verfahren? Nicht jede Lerngruppe interessiert sich gleichermaßen für Piraten, Drachen oder Fußball. Vielleicht sind neutrale Visualisierungen, wie die Formen aus der Montessori-Pedagogik, passender?

Der Fragenkatalog wirkt umfangreich. Dennoch lohnt es sich, gerade zu Beginn der Tätigkeit als Lehrkraft, Sprache und sprachliche Mittel im Grammatikunterricht sorgsam zu prüfen, um ein konsistentes und langfristig tragfähiges Lernen zu ermöglichen.

Aus der Rubrik: Typische Missverständnisse im Kompetenzbereich „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen“

Missverständnis Nummer 2:

Satzglieder und Kasus sind verschiedene Termini für das gleiche Konzept.

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Da die Termini „Akkusativ“ oder „Genitiv“ im Deutschunterricht fast ausschließlich im Zusammenhang mit Satzgliedern auftauchen, führt das zu Missverständnis Nummer 2: Satzglieder und Kasus seien lediglich unterschiedliche Labels für letztlich das gleiche Ding. Das stimmt so ganz und gar nicht. Unter Kasus versteht man die formale Markierung nominaler Einheiten, um bestimmte Relationen auszudrücken. Ok, das war ein bisschen fachsprachlich, nochmal neu: Unterschiedliche Sprachen haben unterschiedliche Strategien, wie ihre Sprecher*innen die Beziehung zwischen den Akteuren in einem Satz ausdrücken können. Eine Strategie von Sprachen ist Kasus. Ein Beispiel:

(1) Die Frau schenkt dem Mann ein Lächeln.

(2) Der Mann schenkt der Frau ein Lächeln.

Wer in dieser Szene wem ein Lächeln schenkt und wer das Lächeln bekommt, wird durch die grammatische Kategorie Kasus versprachlicht. Dadurch, dass die Artikel die Kaususmarkierung tragen, ist ersichtlich, wer hier der Flirtende und wer die angeflirtete Person ist – Missverständnisse ausgeschlossen! Im Deutschen wird der Empfänger in einer Handlungssituation meist durch eine Dativmarkierung gekennzeichnet. Das, was übergeben wird, wird durch den Akkusativ markiert. Und der Akteur in der Situation steht im unmarkierten Kasus, dem Nominativ. Andere Sprachen haben komplexere Kasussysteme und drücken Beziehungen, die das Deutsche über Präpositionen ausdrückt, auch über Kasus aus. Das Finnische etwa verfügt über 11 (!) Kasus. Das Englische ist da deutlich sparsamer. Damit Sprachnutzer des Englischen nicht durcheinanderkommen beim Flirten, müssen sie eine strenge Abfolge der Wortgruppen im Satz einhalten. Im Deutschen darf man die Wortgruppe im Akkusativ hingegen auch vor das Verb rücken. Ist ja klar, wer was mit wem macht, Kasus sei Dank!

Kasus ist auch nützlich, um Besitzverhältnisse auszudrücken. Im Deutschen nutzen wir dazu sehr gern Wortgruppen im Genitiv: das Haus der Nachbarn, das Lächeln der Frau, die Krise des Jahrhunderts, …. In all diesen Beispielen handelt es sich nicht um Satzglieder, denn die Wortgruppen im Genitiv hängen nicht am Verb. Sie hängen an einem anderen Nomen. Diese Funktion bezeichnet man als Attribut. Genitivobjekte sind beinahe ausgestorben, aber die Genitivattribute treiben wilde Blüten!

Kasusmarkierungen zeigt das Deutsche auch im Zusammenhang mit Präpositionen. Jede Präposition des Deutschen verlangt nach einem bestimmten Kasus. Man nennt das auch Rektion. Ein Beispiel:

(3) Laut der Dozentin gibt es nichts Schöneres als Kasus.

Bei dem Wörtchen laut handelt es sich nicht etwa um ein Adjektiv, sondern um eine Präposition. Denn dieses Wörtchen laut sorgt dafür, dass die folgende Wortgruppe „die Dozentin“ im Beispiel zu „der Dozentin“ wird. Es zwingt der Wortgruppe den Dativ auf. Viele Präpositionen haben einen bestimmten Kasus, den sie Wortgruppen aufzwingen. Für DaZ-Lerner*innen ist es sehr sinnvoll, diese Information mit der Präposition zusammen zu lernen. Jetzt wird es nochmal verwickelt: Manche Präpositionen können auch verschiedene Kasusmarkierungen fordern. Das sind vor allem solche Präpositionen, die räumliche Verhältnisse beschreiben. Zur Illustration ein neues Beispiel:

(4) Sie läuft in den Wald.

(5) Sie läuft im (in dem) Wald.

Im ersten Beispiel steht die Wortgruppe „der Wald“ im Akkusativ: „den Wald“. Paraphrasieren ließe sich der Satz mit „Sie läuft in den Wald hinein.“ Im zweiten Beispiel hingegen steht die Wortgruppe im Dativ: „im Wald“. Dieser Satz ließe sich durch „Sie läuft im Wald herum“ ersetzen. Man sieht also, dass der Akkusativ das Überschreiten einer fiktiven Grenze ausdrückt. Der Dativ hingegen drückt eine Relation aus, bei dem die Bewegung innerhalb eines bestimmten Bereichs stattfindet.

Wir können also zusammenfassen: Wortgruppen können verschiedene Kasusmarkierungen tragen. Wenn die Wortgruppe vom Verb gefordert wird, bezeichnet man das je nach Grammatiktheorie als Ergänzung/Objekt/Satzglied. Kasus aber muss nicht im Zusammenhang mit Satzgliedern auftreten, sondern begegnet uns an vielen Stellen, um bestimmte Relationen zwischen Akteuren im Satz zu beschreiben.

Aus der Rubrik: Typische Missverständnisse im Kompentenzbereich „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen“

Missverständnis Nummer 1:

Wörter sind Behälter, in denen eine Bedeutung steckt.

Wir möchten unsere Gedanken, Gefühle, Bilder, Ideen mit anderen teilen. Das machen wir, indem wir unsere Sprache gebrauchen und eine wesentliche Einheit unserer Sprache ist das Wort. Intuitiv gehen viele Menschen davon aus, dass jedes Wort eine feste Bedeutung hat. Schließlich kann man ja erklären, was ein Wort bedeutet und wenn man ein Wort nicht kennt, kann man seine Bedeutung in einem Lexikon nachschlagen oder ergooglen. Worin liegt nun also das Problem?

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Gut lässt sich das Missverständnis, Wörter trügen eine feste Bedeutung, an einer Reihe von typischen Verwendungen des Verbs gehen illustrieren:

(1) Sie geht durch den Raum.

(2) Ab morgen gehe ich ins Fitnessstudio.

(3) Das geht gar nicht!

(4) „Wie geht´s?“ – „Es geht.“ 

(5) „Wie geht´s?“ – „Läuft bei mir“

Versucht man zu beschreiben, welche gemeinsame Bedeutung im Verb gehen der Beispiele (1)-(5) steckt, kommt man recht schnell an seine Grenzen. Gehen wir die Beispiele der Reihe nach durch: In (1) drückt gehen eine Fortbewegung aus. In (2) könnte man unter Umständen auch für eine Bewegung argumentieren, sinnvoller aber erscheint die Analyse von gehen als ein Wort, das in dieser Konstruktion eine Absicht oder eine regelmäßig stattfindende Aktivität ausdrückt. In (3) verhält sich die Bedeutung von gehen noch einmal anders als in den Beispielen (1) und (2). Mit der ganzen Satzkonstruktion wird ausgedrückt, dass eine Handlung oder ein Vorgang als unpassend gewertet werden soll. Die Ablehnung steht hier im Vordergrund. Eine leicht negative Bedeutung zeigt sich auch in der Antwort „es geht“ auf die Frage „wie geht’s“ unter Beispiel (4). Geradezu antonymisch zeigt sich das häufig als Synonym zu gehen gebrauchte laufen unter Beispiel (5).

Welche Schlüsse lassen sich aus diesen Beobachtungen ziehen? Ich denke, es ist wichtig, sich als Deutschlehrkraft darüber bewusst zu sein, dass Wörter keine feste, inhärente Bedeutung tragen, sondern die Wortbedeutung ganz stark vom Kontext beeinflusst ist. Der Kontext kann dabei ein sprachlicher Kontext sein, also andere Wörter, Mehrworteinheiten oder Sätze. Die Wortbedeutung kann aber auch durch einen außersprachlichen Kontext beeinflusst sein. So ist die Frage: „Hast du noch Lust auf einen Kaffee?“ um drei Uhr am Tag anders zu verstehen als um drei Uhr nachts 😊

Aus diesen Einsichten über Wörter als wechselhafte Wesen lassen sich unterrichtspraktische Schlüsse ableiten: Es ergibt vor diesem Hintergrund wenig Sinn, Wörter einer Sprache ohne einen entsprechenden sprachlichen oder außersprachlichen Kontext lehren zu wollen. Lernende müssen wissen, in welchem Kontext welches Wort gebraucht wird – oder auch nicht gebräuchlich ist (Zähne putzen vs. Zähne waschen, Gesicht waschen vs. Gesicht putzen). Auch im Deutschunterricht, der sich vorwiegend an Erstsprachler*innen richtet, sollte man das Phänomen beachten: Wie viel Sinn ergibt wohl eine Aufgabe, bei der „abwechslungsreiche“ Wörter oder Satzanfänge ausgewählt werden sollen, ohne die Funktion im jeweiligen Kontext zu thematisieren? 

So schreibt man eine Hausarbeit: eine praktische Anleitung

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Im heutigen Beitrag geht es nicht darum, wie eine Hausarbeit am Ende aussehen soll – es geht darum, wie Du deine Hausarbeit schreibst.

Zunächst: Viele Wege führen dich zum Ziel. Wenn du bereits einen Weg gefunden hast, der für dich funktioniert, dann ist das super! Bleib dabei! Für alle aber, die vor ihrem leeren Dokument sitzen, habe ich diesen Beitrag verfasst. Hier bekommt ihr eine praktische Anleitung, wie eure Ideen Schritt für Schritt zu Text werden.

How to… write a Hausarbeit!

Das Schreiben von wissenschaftlichen Arbeiten ist keine Magie. Auch wenn vielleicht manchmal so getan wird. Das Schreiben ist ein Handwerk und als solches erlernbar. Und wie bei jedem Handwerk gilt auch beim Schreiben – Übung macht den Meister.

Am Anfang einer jeden wissenschaftlichen Arbeit stehen Ideen. Das gilt für kürzere Hausarbeiten genauso wie für längere Abschlussarbeiten, für wissenschafliche Publikationen in Zeitschriften genauso wie für ganze Doktorarbeiten. Das generieren von Ideen, das Weiterdenken von Ideen, das Strukturieren dieser Ideen ist immer der langwierigste und schwierigste Teil einer wissenschaftlichen Arbeit.

Du hilfst dir, wenn du deine Ideen mit möglichst vielen Menschen besprichst. Sprich mit deiner Freundin, mit deinem Mitbewohner, mit deinen Kommiliton_Innen, mit deiner Dozentin an der Uni über deine Ideen für dein Projekt. Durch den Austausch mit Expert_Innen und Laien bekommst du mindestens drei Dinge: Feedback zu deinem bisherigen Stand, Anregungen zum Weiterentwickeln deiner Ideen und vor allem Klarheit. Denn du wirst unterschiedlichen Personen die Konzepte deiner Arbeit auf unterschiedliche Weisen erklären. Das führt ganz nebenbei dazu, dass du merkst, welche Dinge du bereits gut verstanden hast, was du noch wissen müsstest und welche Ideen nicht so gut funktionieren.

Nach dieser Phase schreibst du ein kurzes (!) Exposé oder ein Abstract zu deiner Hausarbeit. In diesen beiden Textsorten ist dein gesamtes Projekt auf wenige Sätze komprimiert. Du beschreibst: das Problem, dein Erkenntnisinteresse, den bisherigen Kenntnisstand dazu, deine Methode und ggf. bereits dein zentrales Ergebnis sowie eine offene Frage.

Das ist dein Gerüst. Das Gerüst beansprucht sicherlich 50 Prozent der Zeit, die das Schreiben der gesamten Hausarbeit in Anspruch nimmt. Aber es lohnt sich so was von! Denn nun kannst du jeden Pfeiler dieses Gerüsts Schritt für Schritt ausbauen. Damit ist dein Dokument schon nicht mehr leer, sondern bietet dir eine klare Struktur.

Du nimmst dir nun einen Pfeiler nach dem anderen vor. Zu Beginn eines jeden Textteils schreibst du eine erneute Zusammenfassung, was du in dem Abschnitt für deine Leserin darlegen möchtest. Zum Beispiel für den theoretischen Hintergrund deiner Arbeit: Du nutzt Theorie 1 und Theorie 2. Für Theorie 1 sind zwei Ideen wichtig. Dazu haben vier Autor_Innen etwas für deine Fragestellung Relevantes publiziert. Du kannst deinen Pfeiler also folgendermaßen ausbauen: ein einleitender Gedanke, dann Autorin x zu Idee 1, Autorin y zu Idee 1, Einordnung der Positionen in deine Ideen. Für Idee 2: Überleitung aus Idee 1, Autor a zu Idee 2, Autor b gegen Idee 2, Begründung der eigenen Position vor dem Hintergrund deines Erkenntnisinteresses. Ein Zwischenfazit für Theorie 1 schließt den Absatz.

Mit diesem Vorgehen, dem schrittweisen Ausbau von Ideen, verlierst du die Angst vor den Verstrickungen und der Unübersichtlichkeit deines Themas. Du kannst nun effektiver auch kurze Schreibphasen nutzen, denn du hast eine klare Struktur, einen roten Faden. Deine Struktur hilft dir, an deine letzte Schreibphase anzuknüpfen und direkt weiterzuschreiben.

Welchen Pfeiler baust du zuerst aus?

Wenn du eine empirische Arbeit schreibst, dann beginne mit dem Methodenkapitel. Verfasse es am besten parallel zur Datenerhebung und Auswertung. So stellst du sicher, dass du nichts Wichtiges vergisst. Außerdem ist dein Dokument dann bereits mit einer guten Menge an Wörtern gefüllt, sodass du nicht mehr auf ein weißes Blatt starren musst.

Wenn du keine empirische Arbeit schreibst oder den Methodenteil bereits geschrieben hast, dann beginne mit der Theorie. So kannst du in deinem Ergebniskapitel auf die Konzepte zurückgreifen und deine Ergebnisse in den wissenschaftlichen Diskurs zu deinem Thema einordnen.

rough and dirty

Die erste Fassung deiner Pfeiler schreibst du am besten an einem Stück herunter. Das Feintuning kommt später. Schreibe auf, was du zu den jeweiligen Ideen bereits weißt. Du wirst überrascht sein, wie viel das schon ist! Du wirst beim Lesen deiner ersten Fassung feststellen, wo Gedanken springen. Hier gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder, der Gedanke ist wichtig. Dann bekommt er einen eigenen Absatz in der Arbeit. Oder er fügt sich nicht in deine Struktur ein. Dann ist er nicht relevant und du darfst ihn löschen. Löschen ist sowieso völlig zu unrecht unterschätzt: Löschen von überflüssigen Gedanken, Sätzen, Wörtern bringt deine Struktur erst so richtig zur Geltung. Wie bei einem Bildhauer, der den kleinsten Meißel rausholt, geht es beim Überarbeiten deines Textes darum, deine Ideen hervortreten zu lassen. Da muss unnötiger Ballast weg. Eine gute Technik dazu ist lautes Vorlesen. Lautes Vorlesen ist ein echter Geheimtipp unter Profis. Unpassende Gedanken, Ausdrücke oder verschachtelte Sätze fallen dadurch sofort auf.

Ich hoffe, meine kurze Anleitung zum Schreiben einer Hausarbeit hilft dir weiter!

Viel Erfolg und viel Vergnügen!


Literatur: Saramäki, Jari. 2018. How to write a scientific paper. An academic self-help guide for PhD Students. https://jarisaramaki.fi/

Digitale Medien im Deutschunterricht der Grundschule

In einer meiner letzten Seminarsitzungen diskutierten wir gemeinsam mit Lehrer*innen und Student*innen über den (Un-)Sinn digitaler Medien im Deutschunterricht der Grundschule. Als Ausgangspunkt diente uns die Überlegung, was die Begriffspaare analog und digital in unserem Alltag bedeuten. Schnell wurde deutlich, dass es sich bei den Konzepten keinesfalls um distinktive Kategorien handelt. Vielmehr scheinen analoge und digitale Zustände in unserer Lebenswelt untrennbar verschmolzen. Und das gilt zunehmend auch für den schulischen Bereich. Woran wird das sichtbar? Sehen wir uns einige Unterrichtsszenarien an:

  • Beobachtung eines zuvor aufgezeichneten Experimentes über das Whiteboard
  • Bereitstellung des Wochenplanes über ein Klassenpadlet
  • Bearbeitung eines Arbeitsblattes mit eingebettetem QR-Code, das zu einem vertiefenden Erklärvideo führt
  • Recherche zu einem sprachlichen Zweifelsfall über Wörterbuch sowie Klassentablet

Wie lassen sich die Unterrichtsszenarien den Begriffen analog und digital zuordnen? Eine strikte Distinktion, eine scharfe Trennung ist nicht möglich und womöglich auch nicht sinnvoll. Um es mit Katrin Passing & Aleks Scholz (2015) zu sagen:

Unsere Umgebung ist weder digital noch analog. Beide Begriffe sind Idealisierungen der Realität, genau wie die Idee, man könnte eine auf Papier gemalte Linie in unendlich viele Stücke zerschneiden. Analoges und Digitales existiert in Menschen und Geräten gleichzeitig, je nachdem, wie genau man auf welcher Ebene hinschaut.

(Kathrin Passig & Aleks Scholz 2015)

Und ich würde an dieser Stelle noch einen Schritt weiter gehen: Nicht nur ist eine Trennung nicht möglich, vielmehr ist der ständig verfügbare Zugang zu digitalen Medien und insbesondere dem Internet der neue default-Zustand. Nicht online zu sein ist der ungewöhnliche Zustand (Rojo 2014). Deutlich wird das, wenn wir unseren Freund*Innen und Familie im Vorfeld ankündigen, dass der Akku unseres Smartphones bald leer sein könnte oder wir womöglich schlechten Empfang an einem bestimmten Ort haben könnten.

Diese Verschmelzung analogen und digitalen Seins und Arbeitens haben auch Didaktiker aufgegriffen und zur Beschreibung den Begriff des blended learning (Integriertes Lernen) geprägt. Blended learning im klassischen Sinn bezeichnet die Nutzung von elektronischen (digitalen) Lernarrangements, die durch analoge Phasen, also Präsenzunterricht ergänzt werden. Unter blended learning im weiteren Sinne versteht man den Einsatz unterschiedlicher Medien und auch unterschiedlicher psychologischer wie didaktischer Theorien und Modelle, um ein möglichst effektives Lernsetting zu kreieren.

Das Stichwort Effektivität führt uns nun zu den Argumenten, die im Diskurs um die Sinnhaftigkeit digitaler Medien im Grundschulunterricht diskutiert werden. Denn dem ein oder anderen mag der Gedanke, dass die Schüler*innen nun auch in der Schule vor Bildschirmen sitzen, Unbehagen bereiten. Damit meine Studierenden sich innerhalb dieses sehr kritisch geführten Diskurses positionieren können, haben wir in der Seminarsitzung die vier zentralen Argumente für einen Einsatz digitaler Medien im Deutschunterricht der Grundschule erarbeitet.

  1. Das Effizienzargument

Das Effizienzargument ist eines der ersten Argumente, dass von meinen Studierenden angeführt wird. Viele erleben im Praktikum an der Schule, wie bequem es ist, nicht zwischen unterschiedlichen technischen Geräten oder Medien wechseln zu müssen, sondern beispielsweise alles über das Whiteboard arrangieren zu können. Auch das Präsentieren und Festhalten von Arbeitsergebnissen für die kommende Stunde wird erleichtert. In der Pandemie hat sich noch deutlicher gezeigt: Ohne digitale Medien wäre Unterricht kaum oder gar nicht möglich gewesen. Durch den Einsatz digitaler Formate konnte der Unterricht zumindest ein Stück weit zu den Schüler*innen nach Hause transportiert werden.

2. Das Lebensweltargument

Das Lebensweltargument ist bereits im obigen Zitat von Kathrin Passig & Aleks Scholz aufgegriffen. Aber auch das Kerncurriculum positioniert sich dahingehend:

Die Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler ist geprägt von einem selbstverständlichen Umgang sowohl mit analogen als auch mit digitalen Medien. […]Ein sinnvoller, kompetenter und verantwortungsbewusster Umgang mit digitalen Medien sensibilisiert Schülerinnen und Schüler sowohl für die Chancen als auch für die Risiken dieser Medien.

Niedersächsisches Kultusministerium: Kerncurriculum für die Jahrgänge 1-4 Deutsch

3. Das Zukunftsargument

Schule hat die Aufgabe, Schüler*innen auf die Zukunft vorzubereiten. Nun weiß niemand, was die Zukunft birgt – daher ist es umso wichtiger, aktuelle Entwicklungen aufzugreifen, um den Schüler*innen einen kritisch-reflexiven Blick zu ermöglichen. Aus heutiger Perspektive ist es zudem schwer vorstellbar, dass sich die Entwicklungen in den Bereichen der Digitalisierung (Industrie 4.0 usw.) abbremsen oder gar umkehren werden. Aus gesellschaftlicher Perspektive sind Schüler*innen gefordert, die für Innovationen sorgen können, um technischen Fortschritt zu ermöglichen.

4. Das Lernargument

Hinter dem Lernargument steht die Idee, dass unterschiedliche Medien ein unterschiedliches Lernpotential bieten. Digitale Medien können, bei sinnvollem Einsatz, zu einem höheren Lernerfolg beitragen. In der Grundschule recht häufig eingesetzte Formate sind Lern-Apps wie Anton oder Antolin. Aufgabe der Lehrkraft ist es hierbei, die fachliche und fachdidaktische Angemessenheit kritisch zu hinterfragen. Nicht alles, was angeboten wird, ist lernförderlich!

Tolle Möglichkeiten für sprachlich heterogene Lerngruppen bieten beispielsweise digitale mehrsprachige Kinderbücher, wie sie etwa auf der Website Amira zur Verfügung gestellt werden. Auch Audiostifte, die von Lehrkräften besprochen werden können, sind vielfältig einsetzbar.

Literatur

Döbeli Honegger, B. (2016): Mehr als 0 und 1: Schule in einer digitalisierten Welt. Bern: hep, der Bildungsverlag.

T. Irion (Hg.), Neue Medien in der Grund-schule 2.0. Grundlagen – Konzepte – Perspektiven. Frankfurt a. M.: Grundschul-verband, 79–90.Irion,

T. (2016): Digitale Medienbildung in der Grundschule. Primarstufenspezifische und medienpädagogische Anforderungen. In M. Peschel & T. Irion (Hg.), Neue Medien in der Grundschule 2.0. Grundlagen – Konzep-te – Perspektiven. Frankfurt a. M.: Grund-schulverband, 16–32.

Martín Rojo, L. (2014): Occupy. In: JLP 13 (4), S. 623–652. DOI: 10.1075/jlp.13.4.03mar.

Wiepcke, C. (2006): Computergestützte Lernkonzepte und deren Evaluation in der Weiterbildung: Blended Learning zur Förderung von Gender Mainstreaming. Kovač.

https://grundschulverband.de/wp-content/uploads/2018/04/Artikel-Wozu-digitale-Medien-in-der-Grundschule.pdf

https://www.klett-cotta.de/media/14/mr_2015_11_0075-0081_0075_01_Passig_Scholz_Schlam_Brei_Bits_Digitalisierung.pdf

Aus der Rubrik „Lücken im Lexikon“

Unser mentales Lexikon umfasst konservativen Schätzungen zufolge etwa 50 000 Wörter, davon benutzen wir in etwa 12000 bis 16000 Wörter aktiv. Um diese Menge an Wörtern ökonomisch zu verwalten, ist unser mentales Lexikon, im Gegensatz zu Wörterbüchern, hochgeradig organisiert. Eine alphabetische Sortierung ergäbe für unsere Kognition keinen Sinn. Stattdessen sind Form-Bedeutungspaare in Netzwerkstrukturen angeordnet. Semantische Relationen wie Ähnlichkeit (Synonymie) oder Unähnlichkeit (Antonymie), taxonomische Relationen oder Teil-Ganzes-Beziehungen (Meronymie) strukturieren unser mentales Lexikon und sorgen dafür, dass wir bis zu drei Wörtern pro Sekunde problemlos produzieren wie verstehen können.

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Betrachtet man den Umfang des Wortschatzes des Deutschen, könnte man meinen, dass man mit den etwa 300000 bis 500000 Lemmata (Grundformen eines Wortes) alles ausdrücken kann, was einem an Ideen durch den Kopf schwirrt. Manchmal aber ist das nicht der Fall! Dann muss man in umständlichen Satzgefügen ausdrücken, was man gern in einem einzigen eleganten Wort verpacken würde.

Mir ist so eine Lücke im Lexikon neulich aufgefallen, als ich zum sicherlich achten Mal hintereinander das gleiche Lied abgespielt habe. Ich hatte es erst wenige Tage zuvor entdeckt und seitdem war der Ohrwurm dieses Lieds mein treuer Begleiter. Trotzdem (oder gerade deswegen?) verspürte ich den dringenden Wunsch, das neuentdeckte Lied wieder und wieder anzuhören. Als ich meiner liebsten Lauffreundin davon berichtet, wusste sie sofort, was ich meine. Es scheint sich also um ein verbreitetes Phänomen zu handeln (ok, die Stichprobe N=1 könnte zugegebenermaßen größer sein).

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Wie könnte man dieses Konzept wohl benennen, um diese Lücke im Lexikon zu beheben? Wie wäre es zum Beispiel mit „Liedloop“? Der Vorschlag stammt von meinem Mann und überzeugt mich noch nicht vollständig…Vielleicht fällt euch etwas besseres ein!


Quellen und weiterführende Literatur:

Aitchison, Jean: Words in the Mind. An Introduction to the Mental Lexicon. Wiley-Blackwell

https://www.duden.de/sprachwissen/sprachratgeber/Zum-Umfang-des-deutschen-Wortschatzes

Lernen durch Lehren – Konzept und erste Ideen für Mikrosequenzen im Unterricht

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Lernen durch Lehren, kurz LdL, bezeichnet ein didaktisches Konzept, bei dem die Lernenden möglichst viel Verantwortung für die Lerninhalte übernehmen: Indem Lernende die Lerninhalte didaktisch aufarbeiten, durchdringen sie selbst, wie die Lerninhalte funktionieren. Sicherlich kennst du das Phänomen, dass man beim Versuch, jemandem etwas zu erklären, plötzlich selbst zu einer neuen Erkenntnis gelangt. Oder auch im Gegenteil: Scheitert der Versuch der Erklärung, wird deutlich, an welcher Stelle man die Inhalte noch nicht vollständig erfasst hat. Somit entsteht eine reflexive Haltung, durch die die eigene Lernkompetenz gesteigert werden kann. Ich sehe nun, was ich vorher nicht erkannt habe.

Durch die Anwendung von LdL erhoffen sich Lehrkräfte eine hohe Aktivität der Lernenden im Unterricht. So zeigen Studien, dass eine hohe Lernaktivität mit einem größerem Lernerfolg sowie einem tieferen Wissenserwerb verbunden ist. Andere Formate, die eine hohe Aktivität der Lernenden fordern, sind zum Beispiel Flipped Classroom-Formate, über die ich in anderen Beiträgen bereits berichtet habe.

Die Idee Lernen durch Lehren geht zurück auf Jean-Pol Martin, Professor für Didaktik der französischen Sprache und Literatur an der Uni Eichstatt-Ingolstadt, der als Gründerfigur des didaktischen Ansatzes bekannt wurde. Seit den 1980er Jahren entwickelt Martin zusammen mit Joachim Grzega LdL kontinuierlich weiter und bemüht sich um die Verbreitung des Ansatzes. Martin nutzt die Metapher eines Netzwerkes für Lerngruppen. In diesem Netzwerk habe jeder Knoten eine spezifische Aufgabe, die zum Wissenserwerb und -generierung des gesamten Netzes beitrage. Dies nennt Martin „Polyloge“, eine Vernetzung aller Lernenden.

Wie lässt sich das Konzept nun in den Unterricht oder die Lehre an Hochschulen und Universitäten integrieren? Nicht immer muss es hier eine radikale Umstrukturierung sein. Ich glaube vielmehr: Kleine Sequenzen im Unterricht reichen aus, die aber eine große Wirkungskraft entfalten können.  Ich möchte ein Beispiel geben, wie sich LdL als Mikrosequenz ohne größeren Aufwand für Lehrende integrieren lässt.

In einem meiner Einführungskurse an der Uni nutze ich im Grunde einen Flipped Classroom-Ansatz. Die 14 Sitzungen des Semesters habe ich in Lernpakete unterteilt. Jedes Lernpaket besteht aus kurzen Erklärvideos, Foliensätzen zum Mitschreiben und zum Gedanken-Notieren, Literatur zur Nachbereitung sowie drei Leitfragen. Diese Leitfragen haben zunächst zwei Funktionen: Sie dienen der Fokussierungen auf das Wesentliche und können zudem von den Studierenden genutzt werden, um sich selbst hinsichtlich des Lernfortschrittes zu überprüfen.

Die Leitfragen der Lernpakete haben aber noch eine dritte Funktion und damit gelangen wir zu Lernen durch Lehren: Zu Beginn jeder Sitzung stellt eine Studentin eine der Leitfragen vor und beantwortet diese für alle in drei bis maximal fünf Sätzen. Dies ermöglicht einen Rückgriff auf die vorausgegangenen Inhalte und sichert diesen ab, bevor wir zu den Aufgaben des nächsten Lernpaketes übergehen. Die Studierenden haben Gelegenheit, sich als Lehrende zu erproben, und zwar in einem klar definierten Raum, den sie noch gut überblicken können. Die Verwendung von Fachbegriffen und Wissenschaftssprache kann eingeübt werden.  Zudem wird die Dynamik der Lehr-Lernsituation sehr schnell, gleich zu Beginn der Seminarsitzung auf die Lernenden verschoben. Eine von vielen Lehrenden gefürchtet „Mauer des Schweigens“ kann sich erst gar nicht aufbauen.

Wichtig ist bei diesem Vorgehen, einen angstfreien Raum zu kreieren, in dem die Lernenden ihre Kompetenzen zeigen können, ohne eine direkte Bewertung oder gar Benotung erwarten zu müssen. Es handelt sich gerade nicht um eine Prüfungssituation, sondern eine Sequenz, in der Lernende als Expertinnen auftreten dürfen und in der eine diskursive Atmosphäre herrscht. Dann kann Lernen durch Lehren auch in Mikrosequenzen eine erstaunliche Wirkung erzielen. Viel Spaß beim Erproben!


Quellen und weiterführende Literatur

Martin, Jean-Pol: Lernen durch Lehren In: Die Schulleitung – Zeitschrift für pädagogische Führung und Fortbildung in Bayern. 29. Jg., H. 4, 2002, S.3-9.

Joachim Grzega & Marion Schöner (2008) The didactic model LdL (Lernen durch Lehren) as a way of preparing students for communication in a knowledge society, Journal of Education for Teaching, 34:3, 167-175, DOI: 10.1080/02607470802212157

http://www.ldl.de/https://service.zfl.uni-kl.de/wp/glossar/lernen-durch-lehren

Flipped Classroom Teil II: Das Konzept auf dem Prüfstand

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Was ich bislang über das Konzept des Flipped Classrooms berichtet habe, klang sehr rosig. Müssen wir einfach alle kleine Erklärvideos drehen und werden Spitzenreiter in sämtlichen PISA-Tests? So einfach ist es dann leider doch nicht. In dieser Einheit möchte ich diskutieren, welche Vor- und Nachteile eventuell entstehen, welche Lernziele gut bzw. weniger gut erreicht werden können und welche Hürden beim Flippen für Lehrende und Lernende zu nehmen sind. Kurz: Wir wollen das Konzept im Sinne wissenschaftlicher Arbeit einer kritischen Prüfung unterziehen. Drei wesentliche Aspekte möchte ich näher beleuchten.

  1.  Der Erfolg hängt maßgeblich von der Qualität der Umsetzung ab.

Wie bei jeder Lehrmethode hängt der Lernerfolg in erster Linie von der Qualität der Umsetzung durch die Lehrkraft ab. Es gilt auch beim Flipped Classroom die gleichen Überlegungen anzustellen wie bei der Konzeption anderer Unterrichtseinheiten auch. Wenn das Erklärvideo zur Vorbereitung nicht geeignet ist, wenn es nicht verständlich ist, zu lang ist oder nicht kleinschrittig genug im Aufbau, dann verpufft der positive Effekt des Konzeptes. In der Folge muss die Lehrkraft in der für die Vertiefung vorgesehenen Unterrichtsstunde erklären, was eigentlich durch die Vorbereitung zu Hause hätte verstanden werden solle. Das kostet Zeit und vor allem – Motivation. Darin liegt eine Gefahr des Flippens: Wenn ich in der Präsenszeit erkläre, was die Lernenden zu Hause hätten erarbeiten sollen, untergrabe ich dadurch jeglichen Anreiz, sich künftig allein zu Hause mit den Inhalten vertraut zu machen.

2. Flipped Classroom ist eine Methode unter vielen möglichen

Diese Überlegungen zeigen, dass die Methode Flipped Classroom eine unter vielen möglichen Methoden ist, die Lehrenden zur Verfügung stehen, um die Lerninhalte passgenau für die jeweilige Lerngruppe aufzubereiten. Somit geht es mir in keiner Weise darum zu behaupten, dass das Flippen des Unterrichts Erfolg garantiert oder eine Universallösung darstellt. Aber: Es erweitert das Repertoire der Möglichkeiten um eine gute Komponente.

Und was ich wichtiger finde: Es stellt tradierte Lernwege auf den Prüfstand. Insbesondere die Sinnhaftigkeit von Hausaufgaben möchte ich hinterfragen. Was können Hausaufgaben leisten? Welche Aufgaben eignen sich als Hausaufgaben? Welche sozialen Konsequenzen bringen Hausaufgaben für die Familien mit? Die letzte dieser drei Fragen wird meiner Ansicht nach zu selten gestellt. Eltern sollten nicht dafür verantwortlich sein, dass das Kind die Lernfortschritte erzielt, die im Lehrplan vorgesehen sind. Das ist Aufgabe der Lehrkraft. Wohl aber sind Eltern dafür verantwortlich eine Atmosphäre und Umgebung zu schaffen, die es dem Kind ermöglichen zu lernen. Das sind zwei unterschiedliche Dinge, die häufig missverstanden werden. Und Hausaufgaben können unter Umständen dazu beitragen, diese Konfusion zu verstärken.

3. Wissenschaftliche Evaluation: Was sagen Studien über den Lernerfolg?

Die Studienlage zum Flipped Classroom ist noch recht dünn. Das liegt zum einen daran, dass Lernerfolg grundsätzlich schwierig zu operationalisieren ist und sehr viele mögliche Variablen einen Einfluss auf den Lernerfolg von Schüler_innen haben können. Zum anderen ist das notwendige Studiendesign sehr aufwändig. Es müssen sehr viele Schüler_innen unterschiedlicher Lerngruppen über einen vergleichsweise langen Zeitraum sehr genau beobachtet werden.

Eine Studie möchte ich an dieser Stelle kurz vorstellen, die sich mit den Effekten des Flippens auseinandergesetzt haben. Die erste Studie mit dem Titel “Effectiveness of the Flipped Classroom on Student Achievement in Secondary Education: A Meta-Analysis“ von Wagner, Gegenfurtner und Urhane (2020) der TU München nutzt eine sogenannte Metaanalyse. Metaanalyse bedeutet, dass man bereits existierende Studien zu einer bestimmten Forschungsfrage vergleicht. In diesem Vergleich wird dann deutlich, welche Faktoren einen Einfluss auf die Variable haben, die man untersuchen möchte. Das Ergebnis wird in der Regel als Effektstärke ausgegeben. In der Metastudie zum Flipped Classroom hat sich das Team der TU München Studien der Sekundarstufe angesehen. Nimmt man die Ergebnisse dieser Studien zusammen, kann man daraus ableiten, dass die Methode des Flippens eine hohe Effektstärke zeigt. Das heißt, sie beeinflusst die Variable Lernerfolg recht stark. Die Efeektstärke sagt noch nichts darüber aus, ob der Einfluss positiv oder negativ ist. Im falle dieser Studie führt das Konzept des Flippens zu besseren Lernergebnissen als bei Gruppen, in denen die Methode nicht angewandt wurde. Die Wissenschaftler schränken aber ein, dass viele Faktoren den Lernerfolg bedingen und auch andere Wege zum Ziel führen können, die aktives Lernen beinhalten. Eine ähnlich gute Leistung erzielten beispielsweise Schüler_innen, die eigenständig Sachverhalte für Mitschüler_innen erklären sollten. Das nennt man auch Lernen durch Lehren (LdL).

Und weil das so interessant ist, werde ich dem Konzept LdL bald einen eigenständigen Beitrag widmen.

Ich hoffe, es waren einige Denkanstöße für euch dabei 😊

Meine Sprache, meine Grenzen

Aus der Rubrik: Was ich gerade lese
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halehadihahal

aus der Sprache Láadan für ‚andauernd von allen Seiten unterbrochene Arbeit‘

Was für ein Wort! halehadihahal. Ein Wort, wie erfunden für die Situation vieler Eltern während der Coronakrise. Andauernd von allen Seiten unterbrochene Arbeit. Aber nicht nur Eltern werden das Phänomen kennen: Da hat man sich endlich aufgerafft, das nächste Kapitel in Angriff zu nehmen, da wollte man gerade noch die letzten Folien der Präsentation überarbeiten… Das Handy leuchtet auf, es klingelt der Paketbote an der Tür, die Waschmaschiene piepst laut auf. halehadihahal! Das Wort besitzt einen tollen Klang, es lässt sich hervorragend voller Wut herauschschreien, geht wunderbar geschmeidig über die Lippen. Einfach mal ausprobieren! Und auch geschrieben macht es eine gute Figur durch seine regelmäßige Abfolge an Vokal- und Konsonantengraphemen. Ein Wort, zu schön, um wahr zu sein?

Tatsächlich ist halehadihahal ein erfundenes Wort aus der Plansprache Láadan. Die Erfinderin dieser Sprache ist die amerikanische Science-Fiction-Autorin Suzette Haden Elgin. Haden Elgin ist der Ansicht, die natürlich entstandenen Sprachen unserer Welt seien durch und durch männlich geprägt und zeigten einen eklatanten Mangel an Konzepten, die die weibliche Wahrnehmung der Realität ausdrückten. Daher erfand die Autorin für ihren Roman Native Tongue kurzerhand selbst eine Sprache, die all das zum Ausdruck bringen sollte, was das weibliche Sein ausmache. Theoretische Grundlage dieses Projektes ist die sogenannte Sapir-Whorf-Hypothese. Diese sprachphilosophische Hypothese besagt, dass unsere Denken massiv von unserer (Erst-)Sprache geprägt wird. In ihrer radikalen Form gilt die Sapir-Whorf-Hypothese als wissenschaftlich widerlegt. Allerdings zeichnet sich ein mäßiger Einfluss unserer Sprache auf unser Denken ab. Wie zeigt sich dieser Einfluss?

Eine Linguistikprofessorin mit griechischen Wurzeln fragte in meinem ersten sprachwissenschaftlichen Seminar an der Uni, ob wir folgendes Phänomen kennen: Man betritt beim Einkaufen ein beinahe leeres Geschäft. Als man an der Kasse steht, ist das Geschäft plötzlich sehr gut besucht. Die StudentInnen im Seminar überlegten eine Weile, aber so richtig konnte sich niemand an solch eine Situation erinnern. Im Griechischen nun gibt es ein Wort für dieses Phänomen, im Deutschen hingegen braucht man mindestens ein Satzgefüge, um die Bedeutung in Sprache zu verpacken. Und siehe da: Seit ich weiß, dass das Konzept existiert, weil es dafür ein Wort gibt, fällt mir so eine Situation sehr viel häufiger auf. Sprache macht uns also auf bestimmte Dinge aufmerksam, oder eben auch nicht.

pulöfob

Volapük für ‚ich werde geliebt worden sein‘

Somit ist es sehr gut nachzuvollziehen, warum Menschen immer wieder das Bedürfnis verspüren, sich neue Wörter oder gänzlich neue Sprachen zu überlegen. Zu den bekanntesten Plansprachen gehören Esperanto, Volapük oder Blisssymbolics. Aus dem Genre der Phantasy- und Science-Fiction-Romane sind Klingonisch und High Valyrian bekannt. Auch J.R.R. Tolkien hat für seine Welt in Herr der Ringe ganze Sprachen konstruiert. In seinem Buch Die Bienen und das Unsichtbare gibt der Autor und Lyriker Clemens J. Setz einen wunderbar subjektiven Einblick in die Entstehungsgeschichten solcher Sprachen und das Seelenleben deren Erfinder. Es ist kein sprachwissenschaftliches Buch und doch zeigt es auf, wie Sprache funktioniert: Sprache ist stätigem Wandel unterworfen, denn sie ist ein soziales Werkzeug. Ein Fakt, über den so mancher Sprachingenieur beinahe verrückt geworden ist. Da erfindet man die perfekte Sprache- und die Menschen zerstören das System durch den Gebrauch. Was für ein Frevel.

Wer noch mehr wissen will, dem sei das Buch die Bienen und das Unsichtbare ans Herz gelegt. Geschrieben von Clemens J. Setz, erschienen 2020 bei Suhrkamp.

Distanzlernen in der Coronapandemie Teil II

Glücklicherweise werden meine Lehrerinnenfreundinnen nicht müde, mit mir über den schönsten Beruf der Welt zu sprechen. Und aus diesen Gesprächen entstehen dann immer wieder Impulse und Ideen für den Unterricht an der Schule und die Lehre an der Uni. Deswegen gibt es heute einen zweiten Beitrag zum Distanzlernen in der Coronapandemie. In diesem Beitrag geht es darum, wie Studierende LehrerInnen beim digitalen Unterrichten unterstützen können.

Im ersten Beitrag haben wir bereits verschiedene Möglichkeiten angesprochen, wie zum Beispiel das Anbieten von festen oder individuell abgesprochenen Sprechzeiten. Zu diesen Zeiten können sich die SchülerInnen einloggen und die Studentin ist mit einem offenen Ohr für die SchülerInnen. Drei weitere Formen sind uns im Gespräch eingefallen:

  • Das Einsprechen von Aufgaben(texten) und eine Paraphrasierung dessen, was die SchülerInnen tun müssen, um die Aufgabe erfolgreich zu lösen. Diese Idee stammt von einer Sozialpädagogin, die an einer IGS arbeitet. Warum ist das sinnvoll? Viele SchülerInnen haben Schwierigkeiten mit dem sinnentnehmenden Lesen und können deshalb die Aufgaben nicht verstehen, wenn sie alleine zuhause sind. Wenn ihnen jemand die Aufgabe vorliest, haben sie eine viel bessere Chance, die Aufgabe bearbeiten zu können, denn die Hürde des sinnentnehmenden Lesens wird kleiner.
  • Das beispielhafte Lösen einer Aufgabe: Zusätzlich kann die Studentin eine Aufgabe exemplarisch lösen und ihre Gedanken und ihr Vorgehen dabei laut verbalisieren. So können SchülerInnen von einer Expertin lernen, wie man vorgehen kann, um die Aufgabe zu bewältigen. Prima ist, wenn man das in Form eines kurzen Videos zur Verfügung stellt.
  • Noch etwas aus der Rubrik „nicht-kurriculares Lernen“, wie ich das einfach mal nennen möchte 🙂 Studentinnen können kurze Vorlesezeiten planen. Je nach Lerngruppe kann ein Bilderbuch gelesen und gezeigt werden oder auch ein Kinder- oder Jugendbuch. Viele Schülerinnen freuen sich, wenn ihnen jemand ein Angebot macht und signalisiert: Wir denken an Euch!
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