Aus der Rubrik: Was ich gerade lese

halehadihahal
aus der Sprache Láadan für ‚andauernd von allen Seiten unterbrochene Arbeit‘
Was für ein Wort! halehadihahal. Ein Wort, wie erfunden für die Situation vieler Eltern während der Coronakrise. Andauernd von allen Seiten unterbrochene Arbeit. Aber nicht nur Eltern werden das Phänomen kennen: Da hat man sich endlich aufgerafft, das nächste Kapitel in Angriff zu nehmen, da wollte man gerade noch die letzten Folien der Präsentation überarbeiten… Das Handy leuchtet auf, es klingelt der Paketbote an der Tür, die Waschmaschiene piepst laut auf. halehadihahal! Das Wort besitzt einen tollen Klang, es lässt sich hervorragend voller Wut herauschschreien, geht wunderbar geschmeidig über die Lippen. Einfach mal ausprobieren! Und auch geschrieben macht es eine gute Figur durch seine regelmäßige Abfolge an Vokal- und Konsonantengraphemen. Ein Wort, zu schön, um wahr zu sein?
Tatsächlich ist halehadihahal ein erfundenes Wort aus der Plansprache Láadan. Die Erfinderin dieser Sprache ist die amerikanische Science-Fiction-Autorin Suzette Haden Elgin. Haden Elgin ist der Ansicht, die natürlich entstandenen Sprachen unserer Welt seien durch und durch männlich geprägt und zeigten einen eklatanten Mangel an Konzepten, die die weibliche Wahrnehmung der Realität ausdrückten. Daher erfand die Autorin für ihren Roman Native Tongue kurzerhand selbst eine Sprache, die all das zum Ausdruck bringen sollte, was das weibliche Sein ausmache. Theoretische Grundlage dieses Projektes ist die sogenannte Sapir-Whorf-Hypothese. Diese sprachphilosophische Hypothese besagt, dass unsere Denken massiv von unserer (Erst-)Sprache geprägt wird. In ihrer radikalen Form gilt die Sapir-Whorf-Hypothese als wissenschaftlich widerlegt. Allerdings zeichnet sich ein mäßiger Einfluss unserer Sprache auf unser Denken ab. Wie zeigt sich dieser Einfluss?
Eine Linguistikprofessorin mit griechischen Wurzeln fragte in meinem ersten sprachwissenschaftlichen Seminar an der Uni, ob wir folgendes Phänomen kennen: Man betritt beim Einkaufen ein beinahe leeres Geschäft. Als man an der Kasse steht, ist das Geschäft plötzlich sehr gut besucht. Die StudentInnen im Seminar überlegten eine Weile, aber so richtig konnte sich niemand an solch eine Situation erinnern. Im Griechischen nun gibt es ein Wort für dieses Phänomen, im Deutschen hingegen braucht man mindestens ein Satzgefüge, um die Bedeutung in Sprache zu verpacken. Und siehe da: Seit ich weiß, dass das Konzept existiert, weil es dafür ein Wort gibt, fällt mir so eine Situation sehr viel häufiger auf. Sprache macht uns also auf bestimmte Dinge aufmerksam, oder eben auch nicht.
pulöfob
Volapük für ‚ich werde geliebt worden sein‘
Somit ist es sehr gut nachzuvollziehen, warum Menschen immer wieder das Bedürfnis verspüren, sich neue Wörter oder gänzlich neue Sprachen zu überlegen. Zu den bekanntesten Plansprachen gehören Esperanto, Volapük oder Blisssymbolics. Aus dem Genre der Phantasy- und Science-Fiction-Romane sind Klingonisch und High Valyrian bekannt. Auch J.R.R. Tolkien hat für seine Welt in Herr der Ringe ganze Sprachen konstruiert. In seinem Buch Die Bienen und das Unsichtbare gibt der Autor und Lyriker Clemens J. Setz einen wunderbar subjektiven Einblick in die Entstehungsgeschichten solcher Sprachen und das Seelenleben deren Erfinder. Es ist kein sprachwissenschaftliches Buch und doch zeigt es auf, wie Sprache funktioniert: Sprache ist stätigem Wandel unterworfen, denn sie ist ein soziales Werkzeug. Ein Fakt, über den so mancher Sprachingenieur beinahe verrückt geworden ist. Da erfindet man die perfekte Sprache- und die Menschen zerstören das System durch den Gebrauch. Was für ein Frevel.
Wer noch mehr wissen will, dem sei das Buch die Bienen und das Unsichtbare ans Herz gelegt. Geschrieben von Clemens J. Setz, erschienen 2020 bei Suhrkamp.
halehadihahal – was für ein tolles Wort! Danke fürs Teilen!
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