
Was ich bislang über das Konzept des Flipped Classrooms berichtet habe, klang sehr rosig. Müssen wir einfach alle kleine Erklärvideos drehen und werden Spitzenreiter in sämtlichen PISA-Tests? So einfach ist es dann leider doch nicht. In dieser Einheit möchte ich diskutieren, welche Vor- und Nachteile eventuell entstehen, welche Lernziele gut bzw. weniger gut erreicht werden können und welche Hürden beim Flippen für Lehrende und Lernende zu nehmen sind. Kurz: Wir wollen das Konzept im Sinne wissenschaftlicher Arbeit einer kritischen Prüfung unterziehen. Drei wesentliche Aspekte möchte ich näher beleuchten.
- Der Erfolg hängt maßgeblich von der Qualität der Umsetzung ab.
Wie bei jeder Lehrmethode hängt der Lernerfolg in erster Linie von der Qualität der Umsetzung durch die Lehrkraft ab. Es gilt auch beim Flipped Classroom die gleichen Überlegungen anzustellen wie bei der Konzeption anderer Unterrichtseinheiten auch. Wenn das Erklärvideo zur Vorbereitung nicht geeignet ist, wenn es nicht verständlich ist, zu lang ist oder nicht kleinschrittig genug im Aufbau, dann verpufft der positive Effekt des Konzeptes. In der Folge muss die Lehrkraft in der für die Vertiefung vorgesehenen Unterrichtsstunde erklären, was eigentlich durch die Vorbereitung zu Hause hätte verstanden werden solle. Das kostet Zeit und vor allem – Motivation. Darin liegt eine Gefahr des Flippens: Wenn ich in der Präsenszeit erkläre, was die Lernenden zu Hause hätten erarbeiten sollen, untergrabe ich dadurch jeglichen Anreiz, sich künftig allein zu Hause mit den Inhalten vertraut zu machen.
2. Flipped Classroom ist eine Methode unter vielen möglichen
Diese Überlegungen zeigen, dass die Methode Flipped Classroom eine unter vielen möglichen Methoden ist, die Lehrenden zur Verfügung stehen, um die Lerninhalte passgenau für die jeweilige Lerngruppe aufzubereiten. Somit geht es mir in keiner Weise darum zu behaupten, dass das Flippen des Unterrichts Erfolg garantiert oder eine Universallösung darstellt. Aber: Es erweitert das Repertoire der Möglichkeiten um eine gute Komponente.
Und was ich wichtiger finde: Es stellt tradierte Lernwege auf den Prüfstand. Insbesondere die Sinnhaftigkeit von Hausaufgaben möchte ich hinterfragen. Was können Hausaufgaben leisten? Welche Aufgaben eignen sich als Hausaufgaben? Welche sozialen Konsequenzen bringen Hausaufgaben für die Familien mit? Die letzte dieser drei Fragen wird meiner Ansicht nach zu selten gestellt. Eltern sollten nicht dafür verantwortlich sein, dass das Kind die Lernfortschritte erzielt, die im Lehrplan vorgesehen sind. Das ist Aufgabe der Lehrkraft. Wohl aber sind Eltern dafür verantwortlich eine Atmosphäre und Umgebung zu schaffen, die es dem Kind ermöglichen zu lernen. Das sind zwei unterschiedliche Dinge, die häufig missverstanden werden. Und Hausaufgaben können unter Umständen dazu beitragen, diese Konfusion zu verstärken.
3. Wissenschaftliche Evaluation: Was sagen Studien über den Lernerfolg?
Die Studienlage zum Flipped Classroom ist noch recht dünn. Das liegt zum einen daran, dass Lernerfolg grundsätzlich schwierig zu operationalisieren ist und sehr viele mögliche Variablen einen Einfluss auf den Lernerfolg von Schüler_innen haben können. Zum anderen ist das notwendige Studiendesign sehr aufwändig. Es müssen sehr viele Schüler_innen unterschiedlicher Lerngruppen über einen vergleichsweise langen Zeitraum sehr genau beobachtet werden.
Eine Studie möchte ich an dieser Stelle kurz vorstellen, die sich mit den Effekten des Flippens auseinandergesetzt haben. Die erste Studie mit dem Titel “Effectiveness of the Flipped Classroom on Student Achievement in Secondary Education: A Meta-Analysis“ von Wagner, Gegenfurtner und Urhane (2020) der TU München nutzt eine sogenannte Metaanalyse. Metaanalyse bedeutet, dass man bereits existierende Studien zu einer bestimmten Forschungsfrage vergleicht. In diesem Vergleich wird dann deutlich, welche Faktoren einen Einfluss auf die Variable haben, die man untersuchen möchte. Das Ergebnis wird in der Regel als Effektstärke ausgegeben. In der Metastudie zum Flipped Classroom hat sich das Team der TU München Studien der Sekundarstufe angesehen. Nimmt man die Ergebnisse dieser Studien zusammen, kann man daraus ableiten, dass die Methode des Flippens eine hohe Effektstärke zeigt. Das heißt, sie beeinflusst die Variable Lernerfolg recht stark. Die Efeektstärke sagt noch nichts darüber aus, ob der Einfluss positiv oder negativ ist. Im falle dieser Studie führt das Konzept des Flippens zu besseren Lernergebnissen als bei Gruppen, in denen die Methode nicht angewandt wurde. Die Wissenschaftler schränken aber ein, dass viele Faktoren den Lernerfolg bedingen und auch andere Wege zum Ziel führen können, die aktives Lernen beinhalten. Eine ähnlich gute Leistung erzielten beispielsweise Schüler_innen, die eigenständig Sachverhalte für Mitschüler_innen erklären sollten. Das nennt man auch Lernen durch Lehren (LdL).
Und weil das so interessant ist, werde ich dem Konzept LdL bald einen eigenständigen Beitrag widmen.
Ich hoffe, es waren einige Denkanstöße für euch dabei 😊