Lernen durch Lehren – Konzept und erste Ideen für Mikrosequenzen im Unterricht

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Lernen durch Lehren, kurz LdL, bezeichnet ein didaktisches Konzept, bei dem die Lernenden möglichst viel Verantwortung für die Lerninhalte übernehmen: Indem Lernende die Lerninhalte didaktisch aufarbeiten, durchdringen sie selbst, wie die Lerninhalte funktionieren. Sicherlich kennst du das Phänomen, dass man beim Versuch, jemandem etwas zu erklären, plötzlich selbst zu einer neuen Erkenntnis gelangt. Oder auch im Gegenteil: Scheitert der Versuch der Erklärung, wird deutlich, an welcher Stelle man die Inhalte noch nicht vollständig erfasst hat. Somit entsteht eine reflexive Haltung, durch die die eigene Lernkompetenz gesteigert werden kann. Ich sehe nun, was ich vorher nicht erkannt habe.

Durch die Anwendung von LdL erhoffen sich Lehrkräfte eine hohe Aktivität der Lernenden im Unterricht. So zeigen Studien, dass eine hohe Lernaktivität mit einem größerem Lernerfolg sowie einem tieferen Wissenserwerb verbunden ist. Andere Formate, die eine hohe Aktivität der Lernenden fordern, sind zum Beispiel Flipped Classroom-Formate, über die ich in anderen Beiträgen bereits berichtet habe.

Die Idee Lernen durch Lehren geht zurück auf Jean-Pol Martin, Professor für Didaktik der französischen Sprache und Literatur an der Uni Eichstatt-Ingolstadt, der als Gründerfigur des didaktischen Ansatzes bekannt wurde. Seit den 1980er Jahren entwickelt Martin zusammen mit Joachim Grzega LdL kontinuierlich weiter und bemüht sich um die Verbreitung des Ansatzes. Martin nutzt die Metapher eines Netzwerkes für Lerngruppen. In diesem Netzwerk habe jeder Knoten eine spezifische Aufgabe, die zum Wissenserwerb und -generierung des gesamten Netzes beitrage. Dies nennt Martin „Polyloge“, eine Vernetzung aller Lernenden.

Wie lässt sich das Konzept nun in den Unterricht oder die Lehre an Hochschulen und Universitäten integrieren? Nicht immer muss es hier eine radikale Umstrukturierung sein. Ich glaube vielmehr: Kleine Sequenzen im Unterricht reichen aus, die aber eine große Wirkungskraft entfalten können.  Ich möchte ein Beispiel geben, wie sich LdL als Mikrosequenz ohne größeren Aufwand für Lehrende integrieren lässt.

In einem meiner Einführungskurse an der Uni nutze ich im Grunde einen Flipped Classroom-Ansatz. Die 14 Sitzungen des Semesters habe ich in Lernpakete unterteilt. Jedes Lernpaket besteht aus kurzen Erklärvideos, Foliensätzen zum Mitschreiben und zum Gedanken-Notieren, Literatur zur Nachbereitung sowie drei Leitfragen. Diese Leitfragen haben zunächst zwei Funktionen: Sie dienen der Fokussierungen auf das Wesentliche und können zudem von den Studierenden genutzt werden, um sich selbst hinsichtlich des Lernfortschrittes zu überprüfen.

Die Leitfragen der Lernpakete haben aber noch eine dritte Funktion und damit gelangen wir zu Lernen durch Lehren: Zu Beginn jeder Sitzung stellt eine Studentin eine der Leitfragen vor und beantwortet diese für alle in drei bis maximal fünf Sätzen. Dies ermöglicht einen Rückgriff auf die vorausgegangenen Inhalte und sichert diesen ab, bevor wir zu den Aufgaben des nächsten Lernpaketes übergehen. Die Studierenden haben Gelegenheit, sich als Lehrende zu erproben, und zwar in einem klar definierten Raum, den sie noch gut überblicken können. Die Verwendung von Fachbegriffen und Wissenschaftssprache kann eingeübt werden.  Zudem wird die Dynamik der Lehr-Lernsituation sehr schnell, gleich zu Beginn der Seminarsitzung auf die Lernenden verschoben. Eine von vielen Lehrenden gefürchtet „Mauer des Schweigens“ kann sich erst gar nicht aufbauen.

Wichtig ist bei diesem Vorgehen, einen angstfreien Raum zu kreieren, in dem die Lernenden ihre Kompetenzen zeigen können, ohne eine direkte Bewertung oder gar Benotung erwarten zu müssen. Es handelt sich gerade nicht um eine Prüfungssituation, sondern eine Sequenz, in der Lernende als Expertinnen auftreten dürfen und in der eine diskursive Atmosphäre herrscht. Dann kann Lernen durch Lehren auch in Mikrosequenzen eine erstaunliche Wirkung erzielen. Viel Spaß beim Erproben!


Quellen und weiterführende Literatur

Martin, Jean-Pol: Lernen durch Lehren In: Die Schulleitung – Zeitschrift für pädagogische Führung und Fortbildung in Bayern. 29. Jg., H. 4, 2002, S.3-9.

Joachim Grzega & Marion Schöner (2008) The didactic model LdL (Lernen durch Lehren) as a way of preparing students for communication in a knowledge society, Journal of Education for Teaching, 34:3, 167-175, DOI: 10.1080/02607470802212157

http://www.ldl.de/https://service.zfl.uni-kl.de/wp/glossar/lernen-durch-lehren

2 Kommentare zu „Lernen durch Lehren – Konzept und erste Ideen für Mikrosequenzen im Unterricht

  1. Gemeinsam mit Jean-Pol Martin geben wir ein Handbuch zu LdL heraus! Haben Sie Interesse ein Kapitel beizusteuern?

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